Wer ist schuld?

"Ist das jetzt eine neue Plage, die über uns hereinbricht?!", habe ich in den vergangenen Wochen immer wieder mal als Vermutung gehört. Oder: "Vielleicht ist das so etwas wie eine neue Sintflut." Ja, solche Assoziationen legen sich uns nahe. Und nein, das ist es nicht.

Wie kann ich da so sicher sein?

Manch ein selbsternannter Prophet macht sich diese Krise zunutze und hält eine Strafgerichtspredigt über die Menschen. Will sie zur Umkehr bewegen von ihrem sündigen Weg mit gewaltigen Worten, die er gerne aus der BIbel zitiert. Ich denke, so jemand will nur seinem eigenen Narzissmus fröhnen. Oder die Menschen mit Druck und Angst zurück in die gelichteten Kirchenbänke zwangsmissionieren.

Wer ist schuld an dieser Krise? Haben wir Menschen es so übertrieben, dass sie jetzt wie ein Strafgericht über uns hereinbricht? Von Gott geschickt?

Nein.

Gott hat uns diese Welt geschenkt. Er hat uns als Menschen die Verantwortung dafür übertragen (Gen 1,27). Wir alle haben ein Hirtenamt bekommen. Wir sollen wie gute Hirten für die Natur, die Tiere und die Pflanzen sorgen. Das können wir, denn wir sind mit allerlei Gaben ausgestattet als seine Ebenbilder. Diesem Auftrag sind wir leider nicht gerecht geworden. Wir haben sehr versagt und Egoismus, Habgier, viele schlechte Eigenschaften haben sich unter uns immer mehr breit gemacht. Die Folgen sind die Schere zwischen Arm und Reich, unsolidarisches Verhalten, Rücksichtslosigkeit, Hungersnöte, Klimawandel, Umweltzerstörung.

Ich sage es mal so: Wir brauchen keinen Gott dafür, uns Plagen zu schicken. Wir machen uns unsere Hölle auf Erden selbst.

Insofern hat diese Corona-Krise durchaus etwas von einem Ruf zur Umkehr. Aber nicht, weil ein ferner, undurchschaubarer, willkürlicher Gott uns diese Plage schicken würde. Sondern weil wir selbst erkennen können, dass die plötzliche Stille, die Solidarität mit Schwächeren, die Sorge um den anderen uns erheblich besser bekommen als die Hamster- und Wühltisch-Mentalität, bei der jeder nur sich selbst der Nächste ist.

Wir dürfen in diesen Tagen erkennen: es geht. Wenn es sein muss, und das ist im Moment so, können plötzlich alle verzichten auf Fernreisen, auf Annehmlichkeiten, auf übertriebenen Konsum. Und die CO² Emissionen gehen zurück. Wir lernen wieder den kleinen Spaziergang in der Sonne zu schätzen. Wir haben wieder Augen für das Schöne. Und sind dankbar für das, was wir haben. Wir sind empathisch mit denen, die Hilfe brauchen. Und es stößt uns ab, wenn jemand nur an sich denkt und hamstert. 

Wir spüren: jeder von uns hat Verantwortung und kann diese auch übernehmen.

Plötzlich sind die vielen Vorschriften, die unser Leben immer schwieriger gemacht haben und die es einem immer schwerer gemacht haben, Veranwortung zu tragen, nicht mehr so wichtig. Behörden setzen für 30 Tage ihre Gebühren und Auflagen aus, damit die Familien zuhause unkompliziert sich auf Plattformen einloggen und ihre Kinder beschäftigen können. Manch ein Antrag darf doch mal nach der Frist nachgereicht werden, Gelder werden unkomplizierter ausgeschüttet.

In den letzten Jahren haben wir uns immer mehr verloren in fieseligen kleinen Extra-Gesetzesausglegungen, die Vorschriften wurden immer komplizierter und niemand wollte mehr die VEranwtortung übernehmen, weil niemand Schuld sein wollte. "Schuld sein" - in der Kirche hat Martin Luther diese Rede von Schuld und Sühne längst überwunden durch seine Entdeckung des barmherzigen Gottes. Aber in der Gesellschaft hat diese Schuld immer mehr Gewicht bekommen, ganz unterschwellig. Und das hat dazu geführt, dass niemand mehr veranwtrotlich sein wollte. Alle haben mit ausgestrecktem Finger auf den anderen gezeigt. Er war´s, ich nicht. Und so hat jeder Dreck am Stecken gehabt, aber die Verantwortung nicht übernehmen wollen. "Ich muss ja fliegen, weil...." -  "Ob ich jetzt noch meinen kleinen Teil dazu beitrage, das ändert doch die Gesellschaft nicht." - "Ich bin doch nicht dumm und stelle meine Ansprüche zurück für die der Gemeinschaft!"

Und so hat sich unter uns immer mehr das breit gemacht, was man "Sünde" nennt, "Gottesferne". Das hat uns niemand gschickt. Das haben wir ganz alleine geschafft. Und zwar wir alle. Und uns somit aus einer guten Gottesbeziehung entfernt.

Die gute Nachricht ist: es ist (noch) nicht zu spät. Wir können diese Krise in eine Chance umwandeln. Die Welt ist verlangsamt. Wir sind aus allem Trott, aus der Schnellebigkeit, aus dem "höher schneller weiter" herausgelöst worden. Wenn wir diese Chance jetzt ergreifen, dann können wir wirklich etwas ändern. Wenn wir jetzt anfangen, unser ganzes Leben und Handeln zu überdenken, wenn wir wirklich die regionalen Angebote dem bequemen Internet-Angebot vorziehen, wenn wir die NAchbarschaftshilfe aufrecht erhalten, wenn wir aufeinander achten und für einander da sind, wenn wir nicht mehr einsteigen in das Karussell der Globalisierung, wenn wir uns wieder mit dem Urlaub in der Nähe begnügen, statt unüberlegt mit dem Billigflieger zu fliegen, wenn wir mithelfen, dem Klimawandel und der Ungerechtigkeit in der Welt zu begegnen, dann haben wir noch eine kleine Chance, dass wir unseren Planeten für unsere Kinder und Kinderkinder retten. Diese Chance ist nicht sehr groß. Aber sie ist da. Und heute ist der erste Tag vom Rest unseres Lebens.

Packen Sie es an! Kehren Sie um! Sie werden spüren, dass es endlich Sinn macht, das Leben so zu leben. Ein neuer Weg wird sich Ihnen vor die Füße legen und sie werden die Welt mit neuen Augen sehen. Christus spricht: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." Wenn Sie diesen Weg gehen, und zwar wirklich gehen, ohne Ausreden und nicht nur den schönen bequemenTeil, sondern wirklich ganz gehen, dann werden Sie spüren, dass Gott mit ihnen ist. Ein Glück wird Sie erfüllen, das ohnegleichen ist.

Ich lade Sie ein. Kommen Sie in unsere Gottesdienste, wenn diese wieder angeboten werden, oder nutzen Sie Gesprächsangebote. Setzen Sie sich auseinander, stellen Sie Ihre Fragen, ringen Sie mit ihm. Es lohnt sich.

Kirsten Müller-Oldenburg 13. März 2020